Wissenswertes

Das Preisrätsel um den Strom der Zukunft

Wie viel kostet der Umstieg auf erneuerbare Energien? Von Horror-Szenarien mit exorbitanten Strompreisen bis hin zum Öko-Paradies mit günstigen Tarifen reicht die Bandbreite der Prognosen. Fest steht: Den genauen Preis kann derzeit keiner bestimmen. Und noch gibt es etliche Hürden auf dem Weg in eine grüne Epoche. Quelle: (www.tagesschau.de)

Es ist ein ambitioniertes Ziel, das sich die Bundesregierung mit ihrem Energiekonzept gesteckt hat: Bis 2050 soll der Anteil regenerativer Energien auf 80 Prozent steigen, derzeit beträgt er 16 Prozent. Unter Experten tobt eine hitzige Diskussion, ob der komplette Umstieg auf erneuerbare Energien überhaupt zu finanzieren ist - oder der Wirtschaft neue Impulse verleiht und zu mehr Arbeitsplätzen führt. Und welche Folgen hat das für den künftigen Strompreis?

Während das Bundeswirtschaftsministerium und der Sachverständigenrat für Umweltfragen auf lange Sicht von sinkenden Preisen ausgehen, sieht das wirtschaftsnahe Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) schwarz: "Die Kosten werden so immens sein, dass man von den Plänen wieder Abschied nehmen wird", sagt RWI-Ökonom Manuel Frondel im Gespräch mit tagesschau.de.

Aus Sicht der Öko-Skeptiker werden vor allem Ausgaben für neue Windkraftparks, Photovoltaik-Anlagen, Hochspannungs-leitungen sowie die energetische Sanierung von Altbauten die Kosten in die Höhe treiben.

Wie kommt der Strom von der Küste ins Ruhrgebiet?
Das Beispiel Windenergie: Nach einer Studie, die das RWI zusammen mit zwei weiteren Instituten vorgelegt hat, wird bis 2030 mehr als die Hälfte des Windstroms in Windparks vor der Küste produziert - und die sind teuer. Die Bundesregierung veranschlagt dafür bis 2030 rund 75 Milliarden Euro, räumt aber ein, dass die Kosten nur schwer einzuschätzen sind und damit auch höher liegen können.

Wenn die zehn ersten Offshore-Windparks tatsächlich gebaut sind, stellt sich die Frage, wie der dort erzeugte Strom ins Ruhrgebiet und in die Industriezentren im Süden Deutschlands transportiert wird, wo der Energieverbrauch besonders hoch ist.

Offshore

Mindestens zehn Windparks sollen vor deutschen Küsten entstehen.

"Das erfordert einen massiven Netzausbau", sagt RWI-Experte Frondel und verweist auf Zahlen der staatlichen Deutschen Energie-Agentur: Demnach fehlen 3500 Kilometer Hochspannungsleitungen in Deutschland. Kostenpunkt: Sechs Milliarden Euro - Ausgaben, die die Netzbetreiber auf den Strompreis umlegen können.

Umstritten ist auch der weitere Ausbau von Photovoltaik-Anlagen: Die Solarbranche erlebt derzeit einen beachtlichen Boom. Laut Bundesnetzagentur ging durch Photovoltaik von Januar bis Ende August eine Leistung von 4,88 Gigawatt ans Stromnetz, das entspricht der Leistung von mehreren Atomkraftwerken zusammengenommen. Ein Rekordwert, der zwei Ursachen hat: Einerseits sinken die Kosten für Solaranlagen, was eine Einspeisung lukrativer macht. Andererseits beschloss die Bundesregierung eine Kürzung der Förderung, weshalb sich viele Hauseigentümer schnell noch eine Solaranlage auf ihr Dach montieren ließen.

"Kosten beschäftigen uns noch in 20 Jahren"
Dreh- und Angelpunkt der Förderung ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), initiiert von der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder. Demnach bekommen Produzenten von Ökostrom für jede Kilowattstunde, die sie einspeisen, feste Preise. Mithilfe der Subvention soll der alternative Strom wirtschaftlich gemacht werden, bis er sich rechnet. Übernehmen müssen diese sogenannte EEG-Umlage alle Stromanbieter, die diese wiederum an ihre Kunden weiterreichen.

Sie berechnet sich aus der Differenz zu den Marktpreisen und steigt umso stärker, je mehr Ökostrom erzeugt wird. Deshalb löste Mitte Oktober die Ankündigung der Netzbetreiber, die Umlage um rund 1,5 Cent pro Kilowattstunde auf 3,5 Cent anzuheben, erneut Diskussion über die Förderung des Solarstroms aus. "Die Kosten, die aus dem Erneuerbare-Energie-Gesetz entstanden sind, beschäftigen uns noch in 20 Jahren", befürchtet Frondel und begründet dies damit, dass die Abnahmepreise für den Solarstrom für 20 Jahre festgeschrieben sind, und zwar ab dem Jahr der Inbetriebnahme der Photovoltaik-Anlage.

AKW

Nach einer Studie wurde die Atomenergie in den vergangenen 60 Jahren mit mehr als 200 Milliarden Euro subventioniert.

Alle seit dem Jahr 2000 installierten Anlagen hätten die Stromverbraucher rund 52,5 Milliarden Euro gekostet - bei einem Anteil der Solarenergie am Gesamtstrom von weniger als zwei Prozent. Was er nicht sagt: Auch die Atomenergie hängt am Tropf des Staates: In den vergangenen 60 Jahren wurde sie nach einer Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft mit mehr als 200 Milliarden Euro subventioniert. Selbst ohne die geplante Laufzeitverlängerung um durchschnittlich zwölf Jahre kämen in den nächsten Jahren weitere 100 Milliarden hinzu.

Öko-Strom langfristig günstiger als konventionell erzeugter
Weiteres Argument der Öko-Optimisten: Bereits heute führe die Einspeisung der regenerativen Energien zeitweise dazu, dass der Großhandelspreis für Strom an der Leipziger Strombörse gedrückt werde. Dies sei der Fall, wenn große Mengen Windenergie ins Netz eingespeist würden - und dadurch günstiger seien als konventionell gewonnener Strom, erklärt Olav Hohmeyer, Energiewissenschaftler an der Universität Flensburg, der Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ist.

Zwar räumt er ein, dass der Ausbau regenerativer Energien in den nächsten Jahren Mehrkosten verursache. Langfristig sei Öko-Energie allerdings billiger als Strom, der aus fossilen Energieträgern erzeugt werde. Modell-Berechnungen des SRU hätten ergeben, dass eine vollständige regenerative Stromversorgung für Deutschland ökonomisch sinnvoll sei. Denn den kurzzeitigen Kostenerhöhungen, die sich bis etwa 2020 auf 15 Milliarden Euro pro Jahr summieren, stehen in den Jahren ab 2030 Senkungen von bis zu 40 Milliarden Euro pro Jahr gegenüber.

Stromspeicher in Norwegen?
Entscheidend für die Kosten ist zudem, wie stark das deutsche Stromnetz mit anderen europäischen Stromnetzen verknüpft ist: Den Verfassern der SRU-Studie schwebt deshalb vor, mit Skandinavien zusammenzuarbeiten. Das Szenario: Wenn etwa Windräder an der deutschen Nordseeküste zu viel Strom erzeugen, kann deren Energie nach Norwegen befördert - und dort gespeichert werden. Allerdings müssten dazu noch die dortigen Wasserkraftwerke zu Pumpspeicherkraftwerken umgerüstet werden.

Auch der Netzausbau in Richtung Skandinavien müsste massiv vorangetrieben werden. Bislang gibt es lediglich Pläne für Stromleitungen mit einer gemeinsamen Kapazität von vier Gigawatt. Benötigt werden aber laut SRU bis 2020 Netze, die zusätzlich mehr als zehn Gigawatt transportieren können. Trotz der damit verbundenen Kosten kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss: Je intensiver der europäische Stromaustausch, desto billiger wird er für den Kunden.

Die gegensätzlichen Sichtweisen in der Energiediskussion machen eins klar: Hier prallen unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander. Was ist uns Energie wert? Zu welchem Preis ist die Gesellschaft bereit, den fortschreitenden Klimawandel wenigstens abzuschwächen? Womöglich gilt der Satz von Hermann Scheer, des kürzlich verstorbenen Trägers des Alternativen Nobelpreises, in seinem Buch "Energieautonomie": "Eine Energiediskussion, die der Gesellschaft unter Ignorierung aller vorhandenen und absehbaren Energieprobleme einhämmert, nichts sei wichtiger als der aktuelle Energiepreis, ist fatal."

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